Foto: dpa Das Foto zeigt einen als gefährlichen Kampfhund eingestuften American Staffordshire Terrier. Erfurt. Sind Kampfhunde von Natur aus böse oder einfach falsch erzogen? Darüber streiten sich die Thüringer Landtagsfraktionen, Tierschützer und Hundehalter. Per Gesetz will die schwarz-rote Landesregierung Beißattacken durch gefährliche Hunde möglichst verhindern. Vier Terrierrassen stehen auf einer Gefahrenliste - sie dürften künftig nicht mehr gezüchtet und nur unter strengen Auflagen gehalten werden. Eine unfaire Pauschalisierung, kritisierten Hundehalter und Tierschützer am Freitag bei einer Anhörung im Innenausschuss des Landtags. Das Gesetz koste die Kommunen viel Geld und sei schwierig umzusetzen, sagten Abgeordnete von CDU, FDP, Linken und Grünen. Nach der Anhörung könnte die Rasseliste kippen.
Die von Tierschützern vorgetragene Kritik müsse ausgewertet werden, sagte Innenminister Jörg Geibert (CDU) nach der Anhörung. Die Landesregierung stehe beratend zur Seite, „auch für den Fall, dass die Koalitionsfraktionen einen Änderungsantrag vorbereiten sollten“. Grundsätzlich schlage Thüringen mit dem Gesetzesentwurf den richtigen Weg ein - er lehne sich schließlich an die derzeit geltenden Regelungen in vierzehn anderen Bundesländern an.
Ein Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Tieren ist richtig und wichtig - dem hatten zuletzt alle Landtagsfraktionen prinzipiell zugestimmt. Streit gab es aber noch immer um eine Liste, die angeblich besonders gefährliche Hunderassen nennt. Thüringen ist laut Tierschutzverband derzeit das einzige Bundesland, das auf eine Rasseliste verzichtet. Nachdem im Mai 2010 ein drei Jahre altes Mädchen in Sachsenburg (Kyffhäuserkreis) von vier Staffordshire-Bullterriern zerfleischt wurde, plädierte das Innenministerium dafür, vier Terrierrassen als prinzipiell gefährlich einstufen.
Pitbull-Terrier, American Staffordshire-Terrier, Staffordshire-Bullterrier und Bullterrier stehen im Gesetzesentwurf auf der Gefahrenliste. „Die Definition von gefährlichen Rassen ist wissenschaftlich nicht haltbar“, kritisierte der Landestierschutzverband. Die Linke-Abgeordnete Sabine Berninger betonte, das Bundesverfassungsgericht habe schon 2004 entschieden, dass aus der Rasse nicht auf die Gefährlichkeit eines Hundes geschlossen werden kann. Ein neues Gesetz solle an die bisherige Gefahrenhundeverordnung anknüpfen und einen Sachkundenachweis enthalten.
Für Hundetrainer Markus Herwig zeigte die Rasseliste wenig Wirkung, da die vier Terrierarten gerade einmal für sechs Prozent aller Beißunfälle verantwortlich seien. Um Attacken wirkungsvoll vorzubeugen, sollten vielmehr alle Hundehalter eine Sachkundeprüfung ablegen, forderte Herwig. „Viele Halter haben keine Ahnung von den Bedürfnissen ihrer Tiere.“ Eine verpflichtende Prüfung trage zur Sicherheit von Tier und Mensch bei.
Bei Hundebesitzern sorgt der Entwurf der Regierung für eine Welle der Empörung. Laute Zwischenrufe während der Anhörung zeugten davon ebenso wie die mehr als 285 Kommentare im Internetblog des Innenministeriums. „(Kampf)Hunde sind wie Kinder - sie werden zu dem, was ihr Umfeld aus ihnen macht!“, schrieb darin Steffi B.. Mia Michels kritisierte: „Es gibt einfach keine gefährlichen Rassen, nur gefährliche/explosive Mensch-Hundebeziehungen und schlechte, grobe, oder überforderte Halter.“ Viele Kommentatoren sprachen sich wie Hundetrainer Herwig für eine für alle Halter verpflichtende Sachkundeprüfung aus.
„Der Gesetzentwurf scheint mir geprägt von der persönlichen Angst der Verfasser vor großen Hunden“, sagte die Greizer Landrätin Martina Schweinsburg (CDU) für den Thüringer Landkreistag. Die Rasseliste sei weder angemessen noch zielführend. Der Gemeinde- und Städtebund sprach sich dagegen für die Liste aus: Sie erleichtere die Arbeit der Ordnungsbehörden. „Bisher musste erst etwas passiert sein, bevor ein Hund als gefährlich galt. Jetzt könnten wir vorbeugend tätig werden“, sagte Geschäftsführer Ralf Rusch. Die Kontrollen seien aber teuer - „Die Zusatzkosten wollen wir erstattet bekommen.“
Das Gesetz sei - und das habe das Kabinett bestätigt - für die Kommunen kostenneutral, entgegnete der SPD-Abgeordnete Heiko Gentzel. „Ganz im Gegenteil“, behaupteten Politiker der vier anderen Fraktionen. Jede Kommune brauche künftig Hunde-Experten, die Kreuzungen mit den gelisteten Rassen erkennen könnten. „In der Realität ist das nicht allzu lebensnah“, sagte Dirk Adams (Grüne). Wolfgang Fiedler (CDU) betonte, das Gesetz bürde den Ordnungsämtern Lasten auf, die sie sich nicht leisten können.
FDP-Politiker Dirk Bergner zeigte sich erstaunt angesichts der unterschiedlichen Standpunkte von CDU und SPD. „Vielleicht hätte ein Gespräch zwischen den Abgeordneten von SPD und CDU mit dem Minister sehr viel Zeit sparen können.“ Seine Zusammenfassung: „Ich bin froh, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, die Gefährlichkeit von Menschen nach Größe und Gewicht zu beurteilen.“
Trete das Gesetz in Kraft, würden viele Hunde ins Tierheim gebracht oder sogar eingeschläfert, befürchteten Tierschützer. Die strikten Auflagen für Halter erschwerten außerdem die Vermittlung von Tierheim-Hunden. „Möchten sie wirklich Rassen auslöschen?“, wird im Blog gefragt. Fakt ist: Zur Durchsetzung der Vorschrift müssten alle geschlechtsreifen Hunde der vier Terrierrassen drei Monate nach Inkrafttreten unfruchtbar gemacht werden.